_BOOK BIZ

> Seit wann beschäftigst Du dich mit dem Lesen von Krimis?
Jeder Mensch trägt mehr oder weniger ein Grundvertrauen in sich. Meines besteht aus einer gewissen Lebenserfahrung und auch aus einer Leseerfahrung. Bücher haben mich ein Leben lang begleitet, angetrieben vom Rausch des Lesens und immer mit einer unstillbaren Gier nach neuen Geschichten.
Wenn ich aufzählen sollte, wer den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen hat, würde ich die Dramatiker des absurden Theater nennen. Pinter, Albee, Mrozek, Genet und Ionesco. Ihre Stücke, meist im geschlossenen Rahmen agierend, eignen sich hervorragend für Kommunikationsanalysen.
Noch heute liebe ich Texte, in denen Personen auf der Inhaltsebene nur über das Wetter reden und wo allein durch die Intonation die Dramatik, die sich auf der Beziehungsebene abspielt, erkennbar wird.

Nun, das muss Kriminalliteratur nicht leisten. Hier reicht es, wenn über Kommunikation Inhalte transportiert werden. Krimis habe ich bis dato nie gelesen. Mein erster Krimischriftsteller, dessen Buch ich in der Hand hielt, war Henning Mankell. Eher zufällig, nachdem ich den Urlaub in Südschweden verbracht habe, bin ich über ihn in einem Zeitungsbericht gestolpert. Im ersten Krimi war ich sofort fasziniert von der Methode des Ermittelns. Daraufhin habe ich alle seine Bücher verschlungen. Besonders interessierte mich, herauszufinden, wie sich die Ermittlungskette aufbaut und ob der Autor den Zufall einsetzt. Dass im Krimi Zufälle verwendet werden, wurde mir da schon recht deutlich.
Seither verfolge ich, wie geschickt es ein Autor schafft, Zufälle so einzubauen, dass der Leser wähnt, alles baue sich aufeinander auf. Nachdem ich mit allen seinen Büchern durch war, wusste ich, dass ich nie wieder einen Mankell lesen würde. Weil ich den Autor sozusagen für mich „erkannt“ habe.

Nach Mankell las ich mich durch den skandinavischen Raum, einschließlich Sjöwall/ Wahlöö, dann die Deutschen usw. Insgesamt muss ich einschätzen, dass ich so sehr viele Krimis gar nicht kenne. Und manchmal kommen mir schon Zweifel, ob ich überhaupt Krimis beurteilen sollte.

> Bist du eine Literaturwissenschaftlerin?
Ich bin keine Literaturwissenschaftlerin und habe mich beruflich nie mit Literatur beschäftigt. Ich habe Philosophie und Soziologie studiert. Ein abwegiges Feld möchte man meinen. Soziologen schauen sozusagen auf eine Gesellschaft drauf. Sie versuchen aus den gesellschaftlichen Beziehungen die immanenten Strukturen abzubilden, verpassen diesen Begrifflichkeiten und sind versessen darauf, ihre Erklärungsversuche in eine Theorie zu pressen.
Manchmal denke ich, die Methode, die Art des Denkens, gehört so mit zu dem einzigen Wert, der von diesem Studium geblieben ist.

> Was empfindest du am Rezensionsschreiben als besonders schwierig?
Ich habe diesen Blog eröffnet, weil die Krimis, die mich interessierten, nicht oder wenig von den Rezensenten besprochen wurden. Das liegt daran, dass die literarischen Blogbetreiber männlich sind und andere Bücher bevorzugen. Und in den Online-Magazinen findet man größtenteils nur Buchbesprechungen, die aus einer Zusammenfassung und einer Kurzempfehlung bestehen. Das Urteil beschränkt sich meist auf den Hinweis, dass der Krimi unglaublich spannend zu lesen sei. Wie befriedigend!

Ich strebe mit diesem Blog eine lockere Betrachtungsweise an. Da es ein privat geführter Blog ist, muss ich mich keinen Regeln unterwerfen und genieße die unglaublichen Freiheiten, die das Internet bietet. Natürlich lag es in meiner Absicht, aus spezifisch weiblicher Sicht zu bloggen, aber bis heute ist mir undeutlich, inwieweit ich es geschafft habe, mich von anderen Sichtweisen abzugrenzen. Und ob schon allein meine Äußerungen genügen, um weibliche Akzente zu setzen.
Dennoch bleibt es. Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau.
Einigen wir uns auf den Minimalkonsens, dass hier Bücher besprochen werden, von denen ich annehme, dass sie bevorzugt von Frauen gelesen werden. Wer sich die Anfänge meines Blogs anschaut, wird merken, wie zaghaft ich herangegangen bin.

Bis ich den dritten Krimi von Camilla Läckberg gelesen habe und es nicht fassen konnte, wie jemand ein so schlechtes Buch schreiben kann und damit Erfolge feiert. Ich schrieb die Rezension voller Zorn. Am nächsten Tag wollte ich sofort alles schließen.

Seitdem kommen mir ganz ernsthaft jeden Monat einmal diese Gedanken. Im Grunde genommen bin ich ja eher ein zurückhaltender Mensch. Ich versuche immer zu verdrängen, dass es mir auch sehr unangenehm ist, eine negative Meinung zu äußern.
Bei Susanne Mischke ist es mir wieder so extrem passiert. Obwohl im Moment des Urteilens allein der Text zählt, wird damit ja auch die ein- bis zweijährige Arbeit eines Autors infragestellt. Für mich immer eine Gradwanderung. Es liegt mir fern, mich zu überschätzen, allein die Tatsache an sich finde ich problematisch und mindert meine Lust, ungehemmt auf der Klaviatur zu spielen. Das unterscheidet wohl den Laien vom Profi oder, ich werde ich es lernen müssen, diesen Widerspruch auszuhalten.

> Deine Rezensionen fallen durch ihre Sorgfalt auf, auch durch ihren Wortreichtum. Wie viel Zeit nimmst du dir für einen solchen Text? Tage? Schreibst gleich nach der Lektüre deinen Eindruck nieder oder schon während des Lesens?
Ich notiere mir die Namen der auftretenden Personen und skizziere die Handlungsstränge. Nur wenig, weil es beim Lesen stört. Es hat sich als effektiver erwiesen, einige Notizen anzufertigen. Nach der Hälfte des Buches weiß ich, wo der Autor hin will. Ab da notiere ich mir einige Auffälligkeiten. Nach dem Lesen des ganzen Buches schreibe ich schnell den Text nieder und lasse ihn eine Woche liegen. Immer wenn ich unterwegs bin und Leerlaufzeiten habe, denke ich über das Buch nach und ergänze abends den Text. Am Tage des Einstellens sitze ich noch mal eine Stunde. Insgesamt lese und schreibe ich langsam. Diese Reise zum Autor ist für mich wie ein längerer Prozess, vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass man sein Denken über einige Zeit in eine Richtung lenken will.

Ich habe als Jurorin des Glauserpreises unzählige Kriminalromane gelesen. Am Schluss habe ich nach vier Kategorien sortiert: schlechte Bücher, Anfängerbücher, handwerklich saubere Bücher, Bücher mit dem gewissen Etwas.

> Nimmst du ähnliche Sortierungen vor?
Für mich gibt es nur gute oder schlechte Bücher. Und wie ich mich kenne, würde ich mich schnell entscheiden können. Allgemein kam ich noch nicht in die Verlegenheit, Bücher sortieren zu müssen. Aufgemerkt habe ich, als eine Leserin mir schrieb, dass sie ein Buch nach meiner Empfehlung nicht mehr anfangen wolle, zu lesen. So bin ich von der Absicht, ein Buch zu empfehlen, ganz abgerückt. Ich wünsche jedem Autor fast ausnahmslos viele Leser. Mich beschäftigt naturgemäß das gewisse Etwas

>... worin könnte es bestehen?
„Das gewisse Etwas“, das du suchst, möchte ich mit einer Überlegung über den Krimi „Die Umarmung des Todes“ von Natsuo Kirino erklären. Vier Frauen arbeiten am Fließband in einer Lunchfabrik. Eine Frau tötet ihren Ehemann und bittet die Kollegin, ihr beim Verschwinden der Leiche zu helfen. Nachdem die Kollegin Ihre anderen zwei Kolleginnen eingeweiht hat, zerstückeln sie die Leiche im heimatlichen Bad. Danach verteilen sie die Leichenteile in den Papierkörben der Stadt. Was denkt jetzt der Leser, wie die Frauen weiter vorgehen werden? Klar, unauffällig bleiben, abtauchen, normalen Alltag leben.

Ich habe mich einmal mit Konfliktbewältigungsstrategien beschäftigt, es ist belegt, dass die meisten Menschen große Konflikte so lange es geht, verdrängen, nur ein ganz kleiner Teil geht offensiv damit um, weil er die Spannung nicht aushalten kann.

> Und wie verhalten sich diese Frauen?
Ein Kleinganove, der ihr Treiben beobachtet, bietet ihnen einen Deal an. Er will sich um das Leichenbesorgen kümmern, anschließend sollen die Frauen die Toten im Badezimmer portionsgerecht zerlegen. Alles auf Geschäftsbasis versteht sich. Und die Frauen tun es. Das ist unglaublich absurd. Mich hat sofort der Neid ergriffen. Nie wäre ich auf diesen Einfall gekommen. Weil ich in meinem Denkmuster gefangen war. Das ist es. Die Idee aus einem anderen Denkmuster aufnehmen.

Autoren schreiben ja ihren Krimi aus ihrer Intention heraus und wollen diese auch unbedingt in einer drängenden Weise zum Ausdruck bringen. Es ist jedoch viel wirkungsvoller, wenn Geschichten mit wesensfremden, völlig abwegigen Gedanken gewendet werden. Das Unmögliche wagen, immer glauben, es könnte alles auch mal ganz anders herum gedacht werden. Dieses laterale Denken nicht nur als eine Voraussetzung für neue wissenschaftliche Ideen gilt für einen kreativen Prozess schlechthin und vielleicht würde es auch dem einen oder anderen Autoren zu einer unsagbaren Idee verhelfen.

Das kann man nur erreichen, wenn man im normalen Leben gewillt ist, das Denken andersgearteter Menschen herauszufordern und zu akzeptieren. Es hört sich jedoch einfacher an, als es in unserer rigiden Welt möglich ist. Ja, so könnte beim Krimischreiben das gewisse Etwas entstehen. Auf einer ganz abstrakten Ebene gedacht. Darunter gibt es sicher einhundert Methoden, es auch noch zu erzeugen.

> Kann es den perfekten Krimi geben?
Streng genommen würde ich sagen, du kannst keinen Stein aus dem Gedankengebäude lösen, ohne, dass das Gerüst zusammenfällt. Oder anders vorgestellt, du löst einige Steine und das Gebäude ist so stabil, dass es nach wie vor wie eine Eins steht. Perfektion? Schrecklich! Ich glaube, es muss schon eine Idee dahinter stehen, die in sich logisch und stringent gedacht ist. Alles andere ist Gestaltungsraum, um mit der den Autoren eigenen Spielfreude die Eigenwilligkeit des Lebens packen zu können. Und ich bin absolut überzeugt davon, mich hier nicht zu widersprechen. Warum faszinieren uns die Bücher von Fred Vargas? Weil wir in ihnen so viele lose Enden finden und die skurrilen Dinge, die sie einführt, fast über den ganzen Roman keinen Bezug zum Ganzen haben. ...Offene Enden, denn wo sonst sollte sich unser Denken einhaken können.

> Kann es formale Neuerungen im Krimi geben?
Wann ist würdest Du einen Krimi als innovativ beschreiben? Ich weiß es nicht. Es hat sich wohl ein Konsens gebildet, dass Krimis, die vom Inhalt hartes Sozialdrama, von der Form kurze, scharfe Schnitte beinhalten, als innovativ gelten. Das finden wir z. B. bei David Peace, aber auch im Fernsehen bei der Serie „Kriminaldauerdienst“. Wie sich Inhalt und Form anders bedingen müssen, um als willkommene Neuerung gefeiert zu werden, kann ich nicht einschätzen.

Mich hat vor Tagen eine Mail von einem Leser erreicht, der einen Krimi durch das Zusammenschließen von mehreren Autoren im Internet initiiert hat. Ein Autor, der so die kreative Seite des Web 2.0 nutzen will. Warum nicht? Allein das Ergebnis zählt.

> Schreiben Frauen anders als Männer? Haben sie andere Sujets?
Wer das wunderbare Buch der Linguistin Deborah Tannen „Du kannst mich einfach nicht verstehen“ gelesen hat, weiß, dass mit ein und demselben Satz Frauen etwas ganz anderes auszudrücken vermögen als Männer. Kann man da noch abstreiten, dass Frauen anders als Männer schreiben? Und wie viel reizloser wäre diese Welt, wenn sich die Geschlechter nicht auch in diesem Metier unterscheiden würden. Von der literarischen Spitze aus betrachtet, besitzt jede Krimiautorin sowie jeder Krimiautor eine unverwechselbare Handschrift.

Von der Breite der existenten Krimis aus Frauenhand gesehen, scheint es so zu sein, dass Autorinnen ihren Gefühlsregungen mehr Raum geben, den Stoff nicht so stark verdichten, ihren Gedankenfluss ungehemmter einbringen und weniger aktionsreiche Elemente einsetzen. Neben dem bei den männlichen Autoren oft vorzufindenden Wichtigkeitsgefasel sind das alles Komponenten, die nicht angetan sind, die schiere Spannung zu verbreiten. Trotzdem impliziert diese Erkenntnis nicht, dass Frauen auf dem Buchmarkt weniger erfolgreich sind als ihre männlichen Kollegen. So kehren wir wieder zurück zu der altbekannten Frage, inwieweit Frauen andere Krimis als Männer bevorzugen? Ohne empirische Unterfütterung ist es müßig, darüber nachzudenken.

> Warum gibt es so wenige weibliche Rezensenten?
Ist das so? Ich bezweifle es. Zurzeit versuche ich mir noch die weiblichen Rezensenten zu merken, die durch interessante Äußerungen auffallen. So sehr ist mir die Szene bisher nicht vertraut.

> Möchtest Du abschließend noch etwas hinzufügen?
Ich bekomme von Lesern ab und an Post, die mir mitteilen, wie anregend sie meine Beiträge finden. Dennoch gibt es auch Phasen beim Bloggen, bei denen man meint, nur über Allgemeinplätze zu reden und wo das Gefühl überwiegt, man drehe sich ständig im Kreise. Und in meinem Innern sage ich mir jedes Mal, besser keine Botschaften mehr.... Ich hoffe, ich habe die Leser dieses Interviews damit nicht zu sehr überstrapaziert. Abschließend möchte ich meinen Dank ausdrücken. Danke, dass Du neben den professionellen Büchermachern auch dem privaten Krimiliebhaber die Gelegenheit gegeben hast, sich zu äußern.

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